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Healthcare HoldingJuli 20255 min read

Wann ist FDA-Medizintechnik in der Schweiz für Patienten verfügbar?

Eine Frage, die Leben verändern kann – Analyse der regulatorischen Weichenstellung des Bundesrats und ihrer praktischen Folgen für Patientenversorgung und Innovation. 

Die Schweiz steht vor einer Wende im Gesundheitswesen. Die zentrale Frage lautet: Wann können Schweizer Patientinnen und Patienten erstmals von medizinischen Geräten profitieren, die in den USA bereits zugelassen sind – jedoch in Europa (noch) nicht erhältlich? 

Seit Jahren beobachten Fachleute mit Sorge, wie sich die Schweiz durch das fehlende Abkommen mit der EU (MRA) zunehmend von innovativen Technologien abkoppelt. Herzimplantate, roboterassistierte OP-Systeme, digitale Diagnostik – viele dieser Geräte werden heute zuerst in den USA eingesetzt. Das liegt nicht zuletzt an der FDA-Zulassung, die oft schneller und innovationsfreundlicher erfolgt als das europäische CE-Verfahren. 

Mit dem Entscheid des Bundesrats vom 30. April 2025 ist nun ein regulatorischer Kurswechsel eingeleitet worden: Die Schweiz will Produkte mit FDA-Zulassung künftig zulassen – in einem eigenständigen Verfahren. Doch wie schnell kann ein solcher Systemwechsel vollzogen werden? Und wann wird er für Patientinnen und Patienten spürbar? 

Ein historischer Entscheid mit Tragweite 

Die Motion 20.3211, auf deren Basis der Bundesrat nun handelt, wurde bereits 2020 eingereicht – als Reaktion auf die Unsicherheiten nach dem Auslaufen des MRA im Bereich der Medizintechnik. Ihre Umsetzung bedeutet nichts weniger als den Aufbau eines eigenständigen Marktzugangs für Medizinprodukte, die von der US-amerikanischen FDA zugelassen wurden. 

 Das ist neu: Bislang orientierte sich die Schweiz strikt an der EU-Zertifizierung. Mit dem neuen Ansatz soll nun ein alternatives Zulassungsverfahren möglich werden – zunächst für bestimmte Risikoklassen, später womöglich breiter. 

Der Entscheid ist von grosser Tragweite: Er verspricht nicht nur bessere Versorgung mit innovativen Produkten, sondern auch regulatorische Souveränität. Gleichzeitig verlangt er einen systemischen Umbau – rechtlich, technisch und organisatorisch. 

Das geplante System: Anerkennung mit Auflagen  

Im Zentrum des neuen Modells steht die sogenannte «Regulatory Reliance». Dabei wird eine vorhandene FDA-Zulassung nicht einfach automatisch anerkannt, sondern in einem strukturierten Kurzverfahren geprüft. Zuständig sind künftig nicht mehr nur staatliche Stellen, sondern neu auch private Konformitätsbewertungsstellen (CABs), die durch Swissmedic akkreditiert werden. 

 Diese CABs sollen die Aufgabe übernehmen, FDA-Dossiers auf Übereinstimmung mit Schweizer Standards zu prüfen – etwa im Bereich der Produktsicherheit, Post-Market-Überwachung oder technischen Dokumentation. 

Swissmedic bleibt als Aufsichtsbehörde im Spiel, insbesondere für die Überwachung der CABs, Marktkontrollen und die Bearbeitung von Vorkommnissen. Es handelt sich also um ein hybrides Modell zwischen staatlicher Kontrolle und privatwirtschaftlicher Umsetzung. 

Der Fahrplan: Vom Entwurf zur Verfügbarkeit 

Der Weg zur tatsächlichen Anwendung dieses Systems ist jedoch lang. Nach Veröffentlichung der Leitlinien muss nun ein konkreter Verordnungsentwurf ausgearbeitet werden. Dieser wird voraussichtlich Ende 2025 in die Vernehmlassung gehen – eine öffentliche Konsultation, bei der Verbände, Fachpersonen und Kantone Stellung nehmen können. 

Je nach Umfang der Rückmeldungen muss der Entwurf überarbeitet werden, bevor er vom Bundesrat verabschiedet werden kann. Frühestmöglicher Zeitpunkt für ein Inkrafttreten ist damit der Spätsommer oder Herbst 2026. 

Doch selbst mit einer gültigen Verordnung ist der Zugang zu FDA-Produkten noch nicht Realität. Zunächst müssen CABs durch die Schweizer Akkreditierungsstelle (SAS) zugelassen werden – ein Prozess, der weitere neun bis zwölf Monate in Anspruch nimmt. Erst dann können Hersteller ihre Produkte zur Prüfung einreichen. 

Rechnet man alle Etappen realistisch zusammen, ergibt sich folgendes Bild: Eine erste praktische Verfügbarkeit von FDA-zugelassenen Medizinprodukten für Patientinnen und Patienten ist nicht vor dem ersten Halbjahr 2028 zu erwarten. 

Warum 2028 realistisch ist 

Diese Prognose stützt sich nicht nur auf gesetzgeberische Erfahrungswerte in der Schweiz, sondern auch auf internationale Vergleichsprojekte. In Grossbritannien dauerte die Umsetzung eines vergleichbaren Systems (das «International Recognition»-Verfahren der MHRA) rund 18 Monate. 

Zudem ist das Schweizer Regulierungssystem von hoher Sorgfalt geprägt. Jeder Schritt – von der Rechtsausarbeitung über die CAB-Akkreditierung bis hin zur Integration in Kostenerstattungssysteme – erfordert Zeit und Ressourcen. 

Swissmedic selbst steht vor einer enormen Herausforderung: Sie muss ein neues Zulassungsmodell koordinieren, ohne bestehende Aufgaben wie die MDR-Marktüberwachung zu vernachlässigen. Gleichzeitig müssen Kliniken, Spitäler und Versicherer ihre Prozesse auf die neuen Produkte abstimmen.

Der politische Kontext: Chancen und Risiken 

Die Öffnung für FDA-Produkte erfolgt nicht im luftleeren Raum. Die Schweiz verhandelt parallel mit der EU über ein neues bilaterales Abkommen. Kritiker befürchten, dass der neue Alleingang im Medizinbereich Spannungen mit Brüssel erzeugen könnte – insbesondere wenn CE-zugelassene Produkte durch FDA-Alternativen verdrängt werden. 

Der Bundesrat hat daher betont, dass das neue Verfahren nicht die EU-Zulassung ersetzen, sondern ergänzen soll – als pragmatische Antwort auf Versorgungslücken. Ob die EU diese Argumentation mitträgt, bleibt abzuwarten. Eine politische Blockade durch Brüssel ist nicht auszuschliessen, scheint derzeit aber wenig wahrscheinlich. 

Die Industrie ist gefordert 

Während die Politik verhandelt, liegt der Ball nun bei der Industrie. Wer FDA-Produkte in die Schweiz bringen will, muss sich frühzeitig auf das neue System vorbereiten: Dossiers müssen FDA-konform und gleichzeitig swissmedic-fähig aufbereitet sein, die Sprache der Packungsbeilage angepasst, Post-Market-Daten vorbereitet werden. 

Auch der Austausch mit künftigen CABs sollte jetzt beginnen. Nur wer frühzeitig involviert ist, wird zu den ersten Herstellern gehören, deren Produkte im neuen System zugelassen werden – und damit den Zugang zum Schweizer Markt gewinnen. 

Nicht zuletzt müssen sich auch Kostenträger und HTA-Gremien darauf einstellen, neue Technologien schneller zu bewerten und in die Vergütungssysteme zu integrieren. Ohne wirtschaftliche Tragfähigkeit bleibt der regulatorische Zugang wertlos. 

Was auf dem Spiel steht 

Die Bedeutung dieses regulatorischen Schritts kann kaum überschätzt werden. Es geht nicht nur um technische Zulassungsfragen – es geht um Innovationszugang, um Patientensicherheit, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Gesundheitssystems. 

Versorgungsengpässe, wie sie in den letzten Jahren bei bestimmten Herzimplantaten oder In-vitro-Diagnostika aufgetreten sind, könnten durch den FDA-Zugang künftig vermieden werden. Gleichzeitig wird die Schweiz unabhängiger von den zum Teil überlasteten Strukturen der EU-Zulassung. 

Doch all dies steht und fällt mit einer entschlossenen, aber sorgfältigen Umsetzung. Der Bundesrat hat die Richtung vorgegeben – jetzt müssen Verwaltung, Industrie und Fachwelt nachziehen. 

Fazit: 2028 ist realistisch – und entscheidend 

Ralph Nowak, Partner bei Winterberg Group AG, fasst zusammen: “Nach gründlicher Analyse des regulatorischen Fahrplans, der internationalen Vergleichsdaten und der involvierten Prozesse ergibt sich eine klare, fundierte Antwort: Im ersten Halbjahr 2028 ist mit den ersten Marktzugängen zu rechnen.” 

Fabian Kröher, Partner bei Winterberg Group AG fügt hinzu: “Dieser Zeitplan ist realistisch, wenn auch ambitioniert. Er setzt voraus, dass die politischen Prozesse nicht blockiert werden, dass Swissmedic die CABs rasch akkreditiert und dass Hersteller bereit sind, ihre Dossiers zügig einzureichen. Ein Start vor Ende 2027 ist denkbar – aber nur bei optimalem Verlauf. Verzögerungen bis 2029 sind möglich, falls politische oder technische Hürden auftreten.” 

Für die Schweiz ist 2028 damit ein Zieljahr mit grosser Tragweite. Gelingt die Öffnung für FDA-Produkte, könnte sie nicht nur Versorgungslücken schliessen, sondern auch zum Vorbild für andere kleine, aber innovationsfreudige Staaten werden.

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